E.T.A. Hoffmann Theater eröffnet Spielzeit mit „Engel in Amerika“

E.T.A. Hoffmann Theater eröffnet Spielzeit mit „Engel in Amerika“
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Eine Auseinandersetzung mit Homosexualität, Politik, Sehnsüchten und Liebe

Nach der Sommerpause gibt sich das E.T.A. Hoffmann Theater politisch, gesellschaftskritisch und nachdenklich. Die Inszenierung von Sibylle Broll-Pape versetzt die Zuschauer ins New York der 80er Jahre, genauer gesagt in die Welt der in New York lebenden Schwulen und von Menschen, die ihr Dasein und ihre Umwelt kritisch hinterfragen.

„Engel in Amerika“ von Tony Krusher ist ein Epos über Liebe und Solidarität, aber auch eine Parodie auf Amerika der Reagan-Zeit mit all seinen Lügen, Rassismuswahn und Giergehabe. Dem Zuschauer begegnen schillernde Figuren, die ruhelos auf den Straßen von New York – jeder für sich – nach etwas suchen: nach ihrer wirklichen Identität, nach Freiheit, nach Wahrheit, Liebe und Geborgenheit. Dabei begegnen sie sich sowohl real als auch in Traumsequenzen.

E.T.A.-Hoffmann-Theater "Engel in Amerika"

Corinna Pohlmann, Katharina Brenner, Paul Maximilian Pira

Homosexualität als primäres Thema

Im Stück steht das Dasein verschiedener Figuren als Homosexuelle im Vordergrund. Jeder von ihnen pflegt mit seiner Sexualität dabei einen anderen Umgang. So leugnet beispielsweise Roy Cohn (Stephan Ullrich), erfolgreicher und knallharter Anwalt, Schwulenhasser, aber insgeheim selber schwul, bis zum Schluss seine Aidserkrankung, während Prior (Paul Maximilian Pira) mehr und mehr dem HIV-Virus erliegt und mit der Krankheit, aber auch der Welt hadert. Dessen Freund Louis (Marcel Zuschlag) wiederum kann mit der Krankheit seines Freundes nicht umgehen, verlässt Prior und flüchtet zeitweilig zu Cohns angestellten Anwalt Joe (Stefan Hartmann), der sich – vorwiegend aus religiösen Gründen – nur schwer seine sexuelle Neigung eingestehen kann. Belize (Patrick Joseph) hingegen pflegt von allen im Stück Beteiligten noch den normalsten Umgang mit seiner Homosexualität und tritt, auch als Pfleger im Krankenhaus, als Vermittler auf. Die Frauenfiguren sind ebenfalls problembelastet. Harper (Anna Döing), Ehefrau von Joe, ist aufgrund der nicht funktionierenden Ehe, tablettenabhängig, Hannah (Katharina Brenner, toll auch in den Rollen der Ethel Rosenberg, des Rabbis und Arztes), Joes Mutter, spielt dagegen die tapfere Witwe, die alle Schicksalsschläge scheinbar gefühllos hinnimmt. Der Engel (Corinna Pohlmann) ist optisch eindeutig weiblich, aber von seinen Botschaften her gesehen natürlich übersinnlich.

Viele Szenen – vielfältige Aspekte

Jede Szene im Stück steht für sich, jede ist bedeutend, jede hinterfragt, klagt an und verurteilt Missstände – egal, ob es um die gleichgeschlechtliche Liebe, den elektrischen Stuhl, den Krankenstand in Amerika, den das Land nicht gebrauchen kann, um Religiosität oder gesunden Menschenverstand geht. Der Zuschauer wird mit sehr vielfältigen Aspekten konfrontiert. Nach drei dreiviertel Stunden Spielzeit muss er sich aber eingestehen, dass sich viele Frequenzen doch immer wiederholen, dass die Homosexualität mitunter quälend dominierend im Vordergrund steht, dass das Stück trotz der in der Einführung prophezeiten Parallele zur Trump-Ära zu weiten Strecken in den 80er verhaftet ist und dass die Spieldauer von fast vier Stunden einfach zu lang ist.

E.T.A.-Hoffmann-Theater "Engel in Amerika"

Corinna Pohlmann, Stephan Ullrich, Katharina Brenner, Paul Maximilian Pira, Marcel Zuschlag, Anna Döing, Patrick Joseph, Stefan Hartmann

Geteilte Meinungen

Die Meinungen der Zuschauer sind geteilt. Sie fangen bei innovativ und mutig, insbesondere als Aufführung im katholischen Bamberg, gekennzeichnet durch die Thematisierung von Homosexualität, aber vor allen Dingen als Anklage an die Kirche, „Gott hat uns sitzengelassen!“, an. Reichen aber auch bis hin zu aussagen, wie zu langatmig, eintönig, sich wiederholend oder unnötig und extrem sexistisch.

Man muss das Stück wohl punktuell in seinen einzelnen Frequenzen – nicht in der Gesamtschau – betrachten, um einen geeigneten Umgang damit zu finden. Die schauspielerische Leistung jedenfalls ist durchweg grandios, ebenso Dramaturgie und Bühnenbild. Genauso wie die eingespielten Songs der 80er, bei denen viele Stücke von homosexuellen Musikern angeschnitten wurden.

„Wir sehnen uns nach dem, was wir zurückgelassen haben und träumen uns nach vorn“, heißt es am Ende. Ein bisschen gilt das auch für das Anschauen von „Engel in Amerika“.

Fotos: Martin Kaufhold