Charakterinseln statt „Kranzabwurfstelle“

Charakterinseln statt „Kranzabwurfstelle“
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In Bamberg wird ein Mahnmal für die NS-Widerstandskämpfer Stauffenberg, Aron und Wölfel enthüllt. Schon beim Festakt entspinnt sich eine Kontroverse über heutige Erinnerungskultur in Deutschland. Eine Debatte, die dem Mahnmal-Künstler Albert Ultsch und den Initiatoren der Willy-Aron-Gesellschaft sehr gelegen kommt.

Man stand noch im verglasten, weitläufigen Foyer des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg; ein Himmel im hellen Sommerblau spannte sich über Theater und den benachbarten Harmoniegarten. Feiertagswetter am 25. Juni 2016.

Die Willy-Aron-Gesellschaft hatte zur Einweihung des Bamberger Widerstandsmahnmals geladen – und bis zu diesem Moment hatten das Wetter, die Reden und die eigens für den Anlass komponierte Kammersinfonie des Cellisten der Bamberger Symphoniker, Eduard Resatsch, einen rundum geschmackvollen Vorspann zum Höhepunkt des Festaktes gebildet – der nahenden Enthüllung des Mahnmals selbst.

Es besteht aus drei Büsten, die der renommierte Bamberger Bildhauer Albert Ultsch geschaffen und auf 1,60 m hohen Stelen platziert hat.
Die Büsten zeigen die Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Willy Aron und Hans Wölfel, die alle drei eng mit der Stadt Bamberg verbunden sind.
Stauffenbergs Familie lebte hier, Aron und Wölfel wirkten in der Stadt. Aron als kämpferischer Jungsozialist, engagiertes Mitglied jüdischer Jugendorganisationen und Justizreferendar; Wölfel als Vorsitzender der „Katholischen Aktion“ und Rechtsanwalt, der sich insbesondere für die Opfer des NS-Regimes einsetzte und ab 1933 sich im Geheimen mit Gleichgesinnten zum Widerstand formierte.
Jeder bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben: Stauffenberg wurde nach seinem Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 erschossen, Willy Aron im KZ Dachau bereits 1933 zu Tode gefoltert und Hans Wölfel als Regimekritiker am 3. Juli 1944 enthauptet.

Jetzt sprach die Judaistik-Professorin Susanne Talabardon.
Und da geschah es. Es ging auf einmal nicht mehr um „früher“ und „künftig“, sondern um das Hier und Jetzt. Man kam sich vor, als wäre man ertappt worden.

Talabardon hatte erzählt, dass der Berliner Volksmund die Neue Wache als zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik spöttisch „Kranzabwurfstelle“ getauft habe.
„Gedenkrituale können sich abnutzen“, warnte sie nun. Und empfahl: „Statt Blumen und Kränze zu besorgen, könnte das Geld für die Flüchtlingshilfe gespendet werden.“

Beifall setzte ein. Und plötzlich stand diese irritierende Frage im Raum: War man nicht gerade selbst dabei, eine weitere „Kranzabwurfstelle“ zu schaffen?

Spricht man später die Initiatoren des Projekts, den Künstler Albert Ultsch und die Vorsitzenden der Willy-Aron-Gesellschaft, Daniel Manthey und Mechthildis Bocksch, auf Talabardon Worte und das entstandene Unbehagen an, scheinen sie eher erfreut als beunruhigt.

Denn es ist ihr persönliches Anliegen, der „Gedenkfalle“ zu entkommen.
„Es ist kein Denkmal, sondern ein Mahnmal. Wir wollen nicht nur, dass die Widerstandskämpfer von einst für ihre Taten geehrt werden, sondern dass sie als Vorbilder in die Zukunft hinein wirken“, verteidigt Mechthildis Bocksch das Mahnmalprojekt mit Nachdruck. „Es braucht deshalb eine Reflexion über ihr Leben. Allein praktische Hilfe reicht nicht. Beides muss einander bedingen.“

Und Daniel Manthey, von Beruf Historiker, ergänzt: „Vor allem braucht es eine Reflexion, die es ermöglicht, aktuelle Probleme von einer größeren Warte aus zu sehen. So können wir bloßem Aktionismus vorbeugen.“

Der Wirkungsgrad von Gedenkstätten und Mahnmalen ist in Zahlen kaum messbar. Wann mündet das Erinnern und Gedenken in konkrete Taten der Zivilcourage und des Gerechtigkeitssinns?
Die Erinnerungskultur vor allem auch in Deutschland liegt in einem Spannungsfeld zwischen hohem Ideal und alltäglichen Niederungen.

Albert Ultsch, der Bildhauer, versucht diese Gegensätze im „Bildhaften“ aufzulösen, wie er es nennt.
Deshalb habe er sich bewusst gegen ein abstrakt geformtes Mahnmal entschieden – und stattdessen Büstenportraits der Widerstandskämpfer geschaffen. Nicht alle Beteiligte fanden dies gut; teils wurde der Vorwurf laut, dass solche Portraits heutzutage „zu antiquiert“ seien.

Festakt: Mahnmal für die NS-Widerstandskämpfer Stauffenberg, Aron und WölfelDoch Albert Ultsch ficht dies nicht an. „Das Mahnmal soll gerade die breite Masse ansprechen. Der Bürger soll die Köpfe sehen und sich denken: ‚Aha, so hat der ausgesehen. Und umgekommen ist er also. Warum eigentlich?“

Zugleich setzte sich Ultsch zum Ziel, die Büsten der drei Widerstandskämpfer nicht allein nach der Natur, sondern auch nach ihrem Charakter zu schaffen. Er wollte sie in ihrer persönlichen Eigenart zeigen, um Nähe zu den Portraitierten entstehen zu lassen.

Doch wie kann man Charaktermerkmale bei der Ausarbeitung der Büsten anschaulich machen?
„Es sind Details. So habe ich nicht nur die Köpfe, sondern auch den Brustbereich in das Porträt miteinbezogen. Stauffenberg trägt eine abstrahierte Uniform mit hoch geschlossenem Kragen, Aron eine lockere, leicht schief sitzende Fliege und Wölfel Krawatte und Jackett“, antwortet Ultsch.
„Auch ist der Rumpf und der Übergang zwischen Büste und Stelensockel jeweils unterschiedlich gestaltet“, führt er weiter aus. „Wölfel habe ich klassisch gehalten: Der Rumpf formt sich zu einem Kubus, der glatt und exakt auf dem Stelensockel aufsitzt. Bei Aron dagegen habe ich den Rumpf unruhig und knittrig gestaltet und einen leicht abfallenden Übergang zwischen Büste und Stele gewählt. Man hat Aron zu Schulzeiten als Zappelphilipp gehänselt, er war impulsiv und stets aktiv. Bei Stauffenberg erinnert die verkürzte rechte Rumpfseite daran, dass er zurzeit des Attentatsversuchs einhändig war. Den Übergang von der Büste zur Stele habe ich hier hart und eckig gestaltet.“

Im Nordosten des Harmoniegartens, auf einem kleinen Rasengrund unmittelbar gegenüber dem Café Luitpold, kann man diese Eindrücke nun nachvollziehen.

Dort erheben sich die goldgelben Messingbüsten auf ihren Stelensockeln und schimmern sanft in der Sonne.
Die braunen Stahlstelen sind auf der Linie eines Viertelkreises um den Eckpunkt des Parks angeordnet. Auf diesen Eckpunkt ist auch der Blick jeder Büste gerichtet. „Die Widerstandskämpfer kommen zwar aus unterschiedlichen Lagern – und doch haben sie alle dieselbe Blickrichtung, teilen ein Ziel“, bemerkt Ultsch. Die Stelen stehen auf braunen Porphyrplatten, die in den Boden eingelassen sind.

Daniel Manthey erläutert das gemeinsam mit Ultsch erarbeitete künstlerische Konzept: „Die Büsten der drei Widerstandskämpfer sollen als Charakterinseln aus der braunen Flut, versinnbildlicht durch die braunen Bodenplatten, herausragen.“

Dass dieses Mahnmal tatsächlich bereits Herzen berührt und wirkt, kann Mechthildis Bocksch froh berichten: „Heute lag zu Füßen jeder Büste ein prächtiger Blumenstrauß. Wir wissen nicht, wer sie dorthin gelegt hat. Und das ist gerade gut so.“

Text: Christian Hambrecht, Fotos: Mechthildis Boksch & Inge Barth